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Zwischen Kunst und Wissenschaft

Präzise zeichnet Maike Kloss archäologische Fundstücke – und ermöglich so tiefgehende Forschung.

Ein Schulterblick an ihrem Arbeitsplatz.

Maike Kloss in korallfarbener Jacke steht neben Zeichentisch mit zwei Arbeitsleuchten und lächelt in die Kamera

Kein gewöhnliches Verwaltungsbüro

Die Wände des hellen Raumes zieren bunte Aquarelle, Acrylmalereien und Tuschezeichnungen. Auch der Schreibtisch sieht nicht nach einem typischen Verwaltungsbüro aus.

Neben dem Telefon und dem PC stehen ein großes Zeichentablet und eine hölzerne Tischstaffelei. Drumherum liegen Zeichenutensilien. Flexible Arbeitsstrahler leuchten die Szenerie aus. Es ist das Büro von Maike Kloss. Sie ist eine von fünf archäologischen Zeichner:innen bei der LWL-Archäologie für Westfalen.

„Auf meinen Tisch kommen Fundstücke aus Grabungen oder Sondierungen, die ich ganz exakt zeichnen muss"

Ob Handkeil, Urnen oder Sondengängerfunde wie der Bestandteil eines Riemens: In einem Verhältnis von 1:1 erfasst Kloss jede Verzierung, jeden Riss und jede Unebenheit. Dabei wird das Fundstück von allen Seiten gezeichnet: Zunächst mit dem Bleistift als Vorskizze, danach mit einem Tuschestift auf einem Stück Papier. Um so präzise wie möglich zu arbeiten, nimmt sie Lineal, Geodreieck, Zirkel und Profilkamm zur Hilfe. 

Lupe vergrößert einen kleinen metallischen Gegenstand, der mit zwei Nadeln auf Schaumstoff befestigt ist. Daneben eine Hand mit Stift.

„Bei dieser Arbeit geht es darum, exakt zu arbeiten – und nicht besonders schön oder ästhetisch."

"Die Zeichnung wird künstlerisch nicht bewertet, der einzige Anspruch ist eine naturgetreue Abbildung"

sagt Kloss. "Das war und ist immer noch eine gute Ergänzung zu meiner freischaffenden Arbeit.“

Bereits als Kind und Jugendliche hatte Kloss ein Faible für die Kunst und das Studieren von Natur und Landschaften. Es ist das naturalistische Zeichnen, das sie begeistert. Dass sie es in der Archäologie praktiziert, ist einem Studierendenjob zu verdanken. Während ihres Studiums der visuellen Kommunikation und freien Kunst entdeckte sie beim LWL das Jobangebot der studentischen Zeichnerin – und bewarb sich nach ihrem Hochschulabschluss auf eine feste Stelle bei der LWL-Archäologie.

Frau mit korallfarbener Jacke schaut konzentriert auf eine Scherbe in ihrer Hand und malt diese mit einem Stift ab.

Wieso nicht einfach fotografieren?

Auf den ersten Blick scheint der Beruf überflüssig zu werden.

Für die Wissenschaftler:innen bei der LWL-Archäologie ist die akkurate Arbeit von Maike Kloss und ihren Kolleg:innen von großer Bedeutung. Sie werten die Fundstücke oftmals nicht anhand des realen Objekts, sondern mithilfe der Zeichnung aus.

„Fotografien eignen sich hingegen nicht für die Dokumentation. Je nach Perspektive kann das Foto den Fund verzerrt darstellen“, so Kloss. Als erfahrene Zeichnerin kennt sie jeden Handgriff und die besonderen Vorgaben des speziellen Berufsbildes. Verschiedene Materialien werden unterschiedlich gezeichnet: Keramik wird getüpfelt, Eisen gestrichelt. Alles in schwarz-weiß. Dadurch ist es möglich, ähnliche Fundstücke besser miteinander zu vergleichen. „Merkmale wie Verzierungen, Risse oder Gebrauchsspuren können durch die Zeichnungen auch deutlicher herausgearbeitet werden“, erklärt Kloss. Und es ist möglich, die Funde zeichnerisch zu rekonstruieren: „Aus einer Rand-, Wand- oder Bodenscherbe kann ich ein ganzes Gefäß entstehen lassen und Verzierungen, die etwa durch Abrieb nicht mehr vorhanden sind, ergänzen.“ Auch dies helfe den Wissenschaftler:innen bei ihren Forschungen und Interpretationen.

„Das war etwas ganz Besonderes."

In ihrer langen Zeit beim LWL lagen bei der 53-Jährigen schon viele Fundstücke auf dem Zeichenpult. Ein Lieblingsstück war der Halterner Dolch mit Scheide, der im April 2019 entdeckt wurde und komplett erhalten war.

„Das war etwas ganz Besonderes. Er ist 2.000 Jahre alt und voller Verzierungen. Damit man diese besser erkennt, habe ich die Vorderseite der Scheide im Verhältnis 2:1 gezeichnet“, so Kloss, die eine Kopie ihrer Zeichnung auch im Büro aufgehängt hat. Die Arbeit an dem Halterner Dolch mit Scheide war aufgrund der vielen Details recht langwierig. Trotzdem oder gerade deswegen ist es ein absolutes Lieblingsstück von Kloss.

Grabungspläne mit Leben füllen

Derzeit arbeitet Maike Kloss an einer Broschüre zum Sachsenhof Greven; eine Hofstelle, die nach altem Vorbild nachgebaut wurde. Für die Veröffentlichung zeichnet sie unter anderem Lebensbilder.

„Das bedeutet, dass ich die Gebäude so darstelle, wie sie damals ausgesehen haben“, so Kloss. Dabei helfen ihr Grabungspläne, Fotos aus dem Internet und manchmal auch die Recherche vor Ort. Bei der Broschüre zum Sachsenhof Greven übernimmt Kloss aber auch Layout und Satz. Tatsächlich macht das Zeichnen nur einen Teil ihres Arbeitsalltags aus. Genauso ist sie für Grafiken, Fotomontagen und geografische Karten bis hin zu Publikationen wie Flyer oder Broschüren zuständig.

Maike Kloss steht neben einer hellen Arbeitsleuchte und lächelt in die Kamera

„Die Übergänge zwischen meiner Arbeit und meiner Freizeit sind im künstlerischen Bereich oftmals fließend“

Auch in ihrer Freizeit legt Kloss Stift und Pinsel nicht weg: Hier entstehen Aquarelle, Bilder auf Leinwand, digitale Zeichnungen und manchmal sogar ganze Ausstellungen. „Ich bin einfach ein kreativer Geist“, lacht sie.

Zuletzt hat sie ihr Interesse für das Zeichnen von Wildkräutern entdeckt. Wie es ein glücklicher Zufall wollte, bekam sie kurze Zeit später von der LWL-Archäologie den Auftrag, die Beschilderung des Kräutergartens beim Sachsenhof Greven bildlich darzustellen. „Die Übergänge von Freizeit und Arbeit sind manchmal fließend“, so Kloss.

Genau so entstand auch die Idee, Blogbeiträge zum archäologischen Zeichnen zu veröffentlichen.

In ihrer Freizeit begann Kloss kleine Videos für ihren Instagram-Kanal zu drehen. Schnell kam ihr die Idee, auch ihre Arbeit mit einer Kamera festzuhalten. Die mittlerweile über 3.000 Abonnent:innen des YouTube-Kanals der LWL-Archäologie für Westfalen können sehen, wie auf einem leeren Blatt ein archäologisches Fundstück zum Kunstwerk wird. Nebenbei erklärt die LWLerin in den Clips Details zu ihrem Handwerk. Kloss freut sich über das große Interesse:

„Ich teile meine Begeisterung einfach sehr gerne. Es ist ein wunderbarer und wirklich vielseitiger Beruf.“

Archäologisches Zeichnen im Video-Blog

Folge 1 des Zeichenblogs über den römischen Dolch aus Haltern am See

Über die LWL-Archäologie für Westfalen

Vom steinzeitlichen Großsteingrab über mittelalterliche Burgen bis zum verschollenen Jagdbomber aus dem Zweiten Weltkrieg: Westfalen ist reich an Relikten der Vergangenheit.

Damit die Spuren unserer Geschichte überhaupt erst sichtbar und für die nachfolgenden Generationen erhalten werden können, braucht es die Archäologie. Entdecken, Ausgraben, Forschen, Dokumentieren, Schützen und Erhalten sowie Vermittlung der neuesten Erkenntnisse in Publikationen, in den LWL-Museen und bei verschiedensten Veranstaltungen: Die LWL-Archäologie in Westfalen übernimmt vielfältige Aufgaben.