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Portrait von Nadine Noack

Mit 30 das erste Mal Kind sein dürfen

Wie Gastfamilien Menschen das Leben in einer Familie ermöglichen

„Meine Kindheit war echt scheiße - auf Deutsch gesagt“

Nadine Noack erlebte Missbrauch in der Familie, Drogensucht und den Tod ihrer Partnerin, musste zwei ihrer Kinder in Pflegefamilien abgeben und spürt bis heute die körperlichen und seelischen Folgen dieser Erfahrungen.
Aber dann hat sich ihr Leben gewandelt: Sie lebt jetzt mit ihrem Sohn Felix bei einem älteren Ehepaar, das ihr das ersehnte harmonische Familienleben bietet – mitfinanziert vom LWL über das „Betreute Wohnen in Gastfamilien“.

Ihre bewegende Geschichte erzählt Nadine Noack im Video: 

„Ohne ihn wäre ich nicht mehr am Leben“

Vor 12 Jahren lernt Nadine Noack in einer Suchtgruppe Herbert Karg kennen. Ohne ihn, so sagt sie, „wäre ich nicht mehr am Leben.“ Karg lächelt, als er das hört. Er selbst sieht seine Rolle als nicht so entscheidend an, vielmehr ist es für ihn selbstverständlich zu helfen.

Den Anstoß gibt ihm damals eine Erinnerung an sein eigenes Leben:

Das Herz am richtigen Fleck

Gemeinsam mit seiner Frau Ute lädt er Nadine Noack zu sich nach Hause ein, die drei verbringen viel Zeit miteinander. „Als Nadines Freundin damals verstorben ist, haben wir sie ganz zu uns geholt, wie eine Tochter eben. Seitdem lebt sie bei uns.“ 

Warum die Kargs diesen Schritt gegangen sind, auch darüber verliert Herbert Karg wenige Worte. „Klar, das war wegen meiner Tochter, aber vielleicht haben wir auch ein Helfer-Syndrom“, sagt er und lacht. „Nein, im Ernst, es macht uns einfach Spaß zu sehen, dass es ihr bei uns gut geht.“

Seine Frau Ute bestätigt das: „Es kommt immer darauf an, wo man sein Herz hängen hat – und wir haben das wohl am richtigen Fleck“, sagt sie.

„Und Nadine gibt uns einfach auch viel zurück.“ 

Die Gastfamilie, Nadine Noack und ihr Sohn sitzen gemeinsam auf dem Sofa

Ein echtes Zuhause mit „Mama“ und „Papa“

Das war direkt so ein Wärmegefühl. Das kannte ich vorher nicht." So beschreibt Nadine Noack die Anfangszeit mit Ute und Herbert Karg,

Seit mittlerweile zwölf Jahren wohnen sie und ihr achtjähriger Sohn Felix bei den Kargs. Und immer noch freut sie sich darüber, dass sie hier ein echtes Zuhause gefunden hat.  "Wir fühlen uns hier super wohl. Weil das hier ein Familienleben geworden ist." sagt sie.

Die Kargs und die 43-Jährige sind nicht miteinander verwandt, dennoch nennt Nadine Noack sie „Mama“ und „Papa“, wenn sie von dem Ehepaar redet. Die vier bilden eine funktionierende Familie: Sie essen zusammen, verbringen ihre Freizeit miteinander, machen kleine Witze übereinander, denen anzumerken ist, dass sie liebevoll gemeint sind. 

„Dass ich noch einmal ein solches Leben führen kann, hätte ich wirklich nie gedacht“

Auch für den achtjährigen Felix ist die Konstellation besonders wichtig. Ohne die Kargs, das sagt auch Nadine Noack, wäre wahrscheinlich auch Felix wie ihre anderen Kinder in einer Pflegefamilie gelandet. „Dank Mama und Papa kann ich meinen Sohn bei mir behalten.“ Sie ist dankbar, das sagt sie mehrmals. „Dass ich noch einmal ein solches Leben führen kann, hätte ich wirklich nie gedacht.“

Die Gasteltern und Nadine Noack bringen ihrem Sohn Fahrradfahren bei

„Nadine ist für Herbert und Ute eine Tochter geworden – und Felix ein Enkel“

Im ersten Jahr nahmen die Kargs Nadine Noack einfach so bei sich auf. Erst später erfuhren sie vom Modell „Betreutes Wohnen in Gastfamilien“, das der LWL anbietet (s. Infos unten). So wie Jugendliche in Pflegefamilien untergebracht sind, leben hier Erwachsene mit psychischen oder geistigen Einschränkungen in einer Gastfamilie. Die professionelle Unterstützung wird über einen begleitenden Dienst sichergestellt.

Bei den Kargs ist es das Sozialwerk St. Georg aus Gelsenkirchen, für das Susanne Marquardt die Familie regelmäßig besucht.

„Die vier sind tief verbunden, das merkt man sofort“, erzählt Susanne Marquardt von ihren Erfahrungen:

Das Konzept „Betreutes Wohnen in Gastfamilien“

Der LWL organisiert das „Betreute Wohnen in Gastfamilien“ und finanziert es auch mit. Die Familien bekommen monatlich je nach Wohnort insgesamt rund 1.000 Euro vom LWL, etwa 800 Euro vom örtlichen Sozialamt. Der LWL zahlt außerdem 700 Euro für einen begleitenden Dienst. Ein Heimplatz kostet mindestens doppelt so viel, der Staat spart hier also auch viel Geld. 

Katrin Hermann ist Regionalplanerin beim LWL-Inklusionsamt Soziale Teilhabe und dort für das „Betreute Wohnen in Gastfamilien“ mitverantwortlich:

„Mit dem Begriff Gastfamilien wollen wir zeigen, dass es bei den erwachsenen Menschen, die wir hier ansprechen, nicht um Pflege oder Erziehung geht. Wir ermöglichen den Menschen mit Behinderungen eine individuelle Lebensführung, für die die dauerhafte Betreuung in einer besonderen Wohnform – also einem Heim – zu viel und ambulant unterstützt in einer eigenen Wohnung zu wenig Sicherheit bietet. Auf der Grundlage des Konzepts wurden mittlerweile rund 700 Menschen in Westfalen-Lippe in Familien vermittelt“.