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Zwei Frauen sitzen auf einer Bank für einem Scheunentor beim Haus Granat

Das Leben selbst in die Hand nehmen

Wie das Café Haus Granat junge Menschen stark macht

Wenn junge Menschen aus schwierigen Verhältnissen kommen oder mit anderen Herausforderungen zu kämpfen haben, ist der Weg in den Arbeitsmarkt oft schwierig bis unmöglich. Jeweils sechs von ihnen lernen im Café Haus Granat in Haltern-Lavesum die Grundlagen kennen, um auf eigenen Beinen zu stehen.

① Pat

Pat wird mit 15 Jahren schwanger, „viel zu früh“, wie die heute 25-Jährige sagt. Für die Jugendliche, die mit ihren Eltern aus Thailand nach Süddeutschland gekommen war, hört in dem Moment das typische Leben auf, das Teenager führen. „Ich stand vor der großen Frage, was ich nun machen soll“, erinnert sie sich an die schwere Zeit. Wie soll sie weiter zur Schule gehen, wie ein Kind mit ihrem Alltag vereinbaren? Pat trifft Entscheidungen. Sie bricht die achte Klasse erst einmal ab, um sich um ihren Sohn zu kümmern. Von Stuttgart zieht sie nach Essen, beendet dort die achte Klasse, in Gelsenkirchen macht sie ihren Hauptschulabschluss. „Einfach zuhause bleiben, kam für mich dann aber nicht in Frage“, erzählt sie. Denn Pat, das ist sofort zu merken, wenn man die junge Frau erlebt, hat Energie – und den Willen, etwas aus ihrem Leben zu machen.

Sie wendet sich an das Jobcenter. „Ich war total planlos bis dahin, weil ich neben der Schule wenig kennengelernt und auch keine Unterstützung hatte.“ Die Mitarbeiterin dort gibt ihr eine Empfehlung: das Café Haus Granat. In der Einrichtung, die das LWL-Jugendhilfezentrum Marl in Haltern-Lavesum betreibt, soll sie sich ausprobieren, als eine von zeitgleich sechs jungen Menschen mit Vermittlungshemmnissen, die hier für eine berufliche Zukunft vorbereitet werden. Die 16- bis 25-Jährigen eint, dass sie keinen geraden Lebensweg haben, oft Schwierigkeiten zuhause und in der Schule, manchmal Probleme mit Drogen oder Traumata. Pat ist zuerst skeptisch. „Ich kannte dort ja niemanden. Anfangs war es auch schwierig, mich hier einzufügen, aber irgendwann habe ich mich eingewöhnt.“

Wald- und Wiesenlandschaft mit Haus Granat

② Im Haus Granat

Die Arbeit in dem idyllisch gelegenen ehemaligen Landgasthof macht ihr Spaß. Sie ist in der Küche tätig, in der täglich rund 150 Mittagessen gekocht werden, für die Offene Ganztagsschule in Dorsten und Tages- und Wohngruppen des LWL-Jugendhilfezentrums Marl. Das Haus bietet zudem Catering-Services an, für LWL-interne und externe Fortbildungen, Tagungen oder private Feiern – und Tagungsräume, in denen bis zu 100 Menschen versorgt werden müssen, inklusive Service am Platz. „Gerade das Arbeiten direkt mit den Leuten war für mich ganz schön schwierig, aber die Mitarbeiter von Haus Granat haben mich aus dem Schneckenhaus herausgeholt“, erinnert sich Pat an die Anfangszeit. Danach geht es immer besser. Die junge Frau macht Praktika, zunächst in einem Restaurant, was nicht so gut klappt. „Es war die große Frage, ob Gastronomie generell was für mich ist“, sagt sie. Dann aber überlegt sie sich mit Hilfe des Café-Haus-Granat-Teams, dass das Hotelfach besser zu ihr passen könnte. „Ich brauche einfach Abwechslung im Leben.“ Der Rest ist schnell erzählt: Sie bewirbt sich beim Hotel Seehof in Haltern für eine Ausbildung und absolviert diese mit Bravour. Seit einem Jahr ist sie nun Hotelfachfrau, mit einer festen Stelle an ihrem Ausbildungsort.

③ Die Idee dahinter

Pat hat hart für diesen Erfolg gearbeitet – und das Team vom Café Haus Granat hat ihr dabei geholfen. Wie dankbar sie ist und wie gut ihr die Zeit dort gefallen hat, ist bei ihrem Besuch dort direkt zu sehen. Sie unterhält sich mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit denen sie draußen auf der Terrasse sitzt, stundenlang, bevor sie zu ihrer nächsten Arbeitsschicht muss. Werner Kroll sieht das sehr gerne. Der pädagogische Leiter des Hauses ist stolz auf Pat und auf alle anderen, die den Weg in die Berufstätigkeit gefunden haben, trotz aller Widerstände. Rund 50 Prozent der jungen Erwachsenen, die die Maßnahme durchlaufen, können später vermittelt werden. „Das ist eine hohe Quote für unsere Zielgruppe“, sagt Kroll. Entwickelt hat das Konzept das LWL-Jugendhilfezentrum Marl selbst. „Wir haben im Jahr 2007 gemeinsam mit unseren Mitarbeitenden eine Zukunftswerkstatt gemacht und das Haus dann im Jahr 2008 gegründet.“ Seitdem werden Jugendliche dort weitergebildet. Noch einmal verändert hat sich das ganze Konstrukt im Jahr 2018. „Damals haben wir uns als Aktivierungsmaßnahme zertifizieren lassen“, sagt Werner Kroll. Was nach einem technischen Detail klingt, ist auf den zweiten Blick enorm wichtig für die Zukunftssicherung der Arbeit: „Früher haben die Jugendämter solche Strukturmaßnahmen finanziert. Als das nicht mehr ging, hat das Jobcenter Marl Interesse gezeigt – aber dafür brauchten wir das Zertifikat“, erklärt Werner Kroll. Das Team nimmt die Herausforderung an und besteht sie. „Wir haben dafür eng mit den Jugendamt und dem Jobcenter in Marl kooperiert.“

Der Erfolg gibt dem Projekt recht, das die jungen Menschen fit für den ersten Arbeitsmarkt macht und gleichzeitig langfristig dafür sorgt, dass die Kosten für das Sozialsystem sinken.

④ Training für den Alltag

Den Grundstein für diesen Erfolg legen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit unterschiedlichen Arbeitstrainings führen sie die jungen Menschen näher an den Arbeitsmarkt heran. Eine der Trainerinnen ist Daniela Peters, die eines immer im Blick hat: „Wir haben hier ganz tolle junge Menschen, die oft aus schwierigen Verhältnissen kommen“, sagt die Leiterin des Hauses. „Aber es geht immer um deren Individualität und ihre Ressourcen, auf die wir schauen.“ Die sechs Jugendlichen starten dafür ganz langsam in den Alltag im Café Haus Granat. „Sie sollen erst einmal ankommen und bekommen im Laufe der Zeit immer mehr Aufgaben.“ Daniela Peters betreut vor allem den Service und die Hauswirtschaft, wo zum Beispiel Tischtücher gewaschen, die Räume geputzt oder Tische eingedeckt werden. Bei Tagungen müssen die jungen Leute auch Speisen und Getränke auftragen, was für manche gar nicht einfach ist. „Auf die Gäste zuzugehen, ist oft die Hauptschwierigkeit“, erzählt Daniela Peters. „Im Extremfall machen wir das dann einfach zusammen, gehen mit der Kaffeekanne in den Raum und sprechen die Gäste an. Nach einiger Zeit funktioniert das dann gut.“

Arbeit in der Küche des Café Haus Granat

⑤ Beziehungsarbeit

Beziehungsarbeit ist eine der wichtigen Aufgaben für das Team, die Vermittlung von bestimmten Eigenschaften, die für ein erfolgreiches Arbeitsleben entscheidend sind, eine andere. Auch Benjamin Folk, der gemeinsam mit Daniela Peters das Haus leitet, weiß das. „Wir vermitteln in der Küche die Grundkenntnisse, wie die Abläufe sind, wie man mit Lebensmitteln umgeht oder auch einfach nur Gemüse schneidet“, sagt der Koch. „Ebenso wichtig sind aber andere Fähigkeiten, wie zum Beispiel pünktlich und verlässlich zu sein, Ausdauer zu haben oder unter Zeitdruck zu arbeiten.“ Denn klar ist: Das Café Haus Granat bildet keinen geschützten Raum, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen genauso liefern wie andere gastronomische Betriebe.

Zwei Frauen und ein Mann sitzen an einem Tisch, im Hintergrund das Haus Granat

⑥ Selbstvertrauen

Einen weiteren Teil der Maßnahmen bestreitet Sascha Brinkmann, der ebenfalls beim LWL-Jugendhilfezentrum Marl angestellt ist und zehn Stunden pro Woche für das Projekt arbeitet. Er bringt den jungen Menschen bei, wie man einen Lebenslauf schreibt, nach Stellen sucht oder sich bei Vorstellungsgesprächen verhält. „Manchmal müssen die Jugendlichen sogar erst einmal lernen, wie man telefoniert. Das machen wir dann in Rollenspielen“, sagt der Sozialarbeiter. „Wir wollen ihnen Selbstvertrauen mitgeben und sie sollen sich wohlfühlen bei uns. Die meisten waren schon in anderen Maßnahmen und haben auch viele Niederlagen erlebt.“ 

Sascha Brinkmann

Sascha Brinkmann, Sozialarbeiter

Pat vor Haus Granat, im Vordergrund Buchstaben

⑦ Dankbarkeit

Der Erfolg bestätigt die Arbeit der Einrichtung. Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer arbeiten später selbst in der Gastronomie, einige landen in anderen Berufen. Pat hat im Hotelgewerbe ihre Leidenschaft und ihren Beruf gefunden. Sie ist glücklich, das ist ihr anzusehen. „Ich habe hier so viel Verschiedenes gelernt, dass ich danach wusste, wo es für mich hingehen soll“, sagt sie, während sie auf der Terrasse mit ihren ehemaligen Ausbilderinnen und Ausbildern einen Kaffee trinkt und herumscherzt. „Dafür bin ich wirklich sehr dankbar.“

Kontakt

Café Haus Granat
Granatstraße 700
45721 Haltern am See

zur Webseite des Cafè Haus Granat

jhz.cafe-granat@lwl.org