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Krise, Kriege, Klimawandel. Wie umgehen mit den Stressfaktoren unserer Zeit?

Politische Konfliktherde, Pandemiefolgen, Klimawandel, Inflation:

Derzeit sehen sich viele Menschen mit Krisen konfrontiert, fühlen sich erschöpft und kommen an ihre Grenzen. Wie kann man diesen Belastungen begegnen?

LWL-Expertin Prof. Dr. Patricia Ohrmann beantwortet diese Frage und erklärt, dass Stress nicht immer schlecht ist."

Portrait Prof. Dr. Patricia Ohrmann Prof. Dr. Patricia Ohrmann ist Ärztliche Direktorin der LWL-Klinik Münster.

Wir erleben im Moment viele Krisen gleichzeitig. Merken Sie, dass sich diese Stressfaktoren auch in psychischen Erkrankungen widerspiegeln?

Aktuelle Studien zeigen, dass verschiedene Ängste, zum Beispiel vor dem Klimawandel, seit der Coronapandemie zugenommen haben. Angst zu haben kann ein relevanter Stressfaktor werden, wenn es den Betroffenen nicht möglich ist, einen Weg aus der Angst zu finden. Und es ist sehr gut untersucht, dass Stress das Risiko für psychische Erkrankungen – besonders für Depressionen und Angsterkrankungen – erhöht.

Das gilt insbesondere für Menschen, die aufgrund multipler Belastungen besonders vulnerabel sind und daher unter Krisen auch besonders leiden. Speziell junge Menschen sind zum Beispiel von der Klima-Angst stärker betroffen. Bei ihnen ist es unter anderem zu einer Zunahme von Essstörungen und Depressionen gekommen.

Können Sie nachvollziehen, wenn Menschen von der zunehmenden Digitalisierung erschöpft sind?

Digitalisierung hat auch viele positive Auswirkungen. Patientinnen und Patienten haben zum Beispiel dank der sozialen Medien die Möglichkeit, während eines Krankenhausaufenthalts in Kontakt mit Familie und Freunden zu bleiben. Das hilft bei der Genesung. Bei anderen führt die ständige Erreichbarkeit im Berufsleben zu Burnout-Symptomen und Depressionen. Sie müssen oft erst einmal lernen, „Nein“ zu sagen, wenn die Anforderungen in der Arbeitswelt die eigene Leistungsgrenze übersteigen. Es ist daher sehr wichtig, frühzeitig zu erkennen, ob mich die Arbeit über die reguläre Arbeitszeit hinaus beherrscht oder belastet und wie ich mich gegen die Überlastung abgrenzen kann.

Ein kämpfendes Strichmännchen, ein laufendes Strichmännchen und ein erstarrtes, zitterndes Strichmännchen

Viele empfinden durch die belastenden Nachrichten Zukunftsangst. Kann das auch zum Handeln motivieren?

Ja, Angst ist ein entscheidender Handlungsmotivator, eine gesunde Reaktion auf Gefahr. Wenn wir keine Angst hätten, wären wir schon ausgestorben.

Verharren oder handeln?

Am „Fight-Flight-Freeze-Modell“ der Angstreaktionen wird deutlich, wie wir auf Gefahren reagieren. Wenn wir im Freeze-Modus sind, also erstarren, dann ergeben wir uns der Situation und resignieren. „Fight“ und „Flight“, also Kampf oder Flucht, sind dagegen aktive Reaktionen. Das kann natürlich auch einmal schiefgehen, aber man überwindet das Gefühl der Hilflosigkeit.

Übertragen heißt das: Jegliche Form von Aktivität und Engagement kann gegen ein Ohnmachtsgefühl helfen und verbessert auch die physiologischen Werte wie Blutdruck oder Herzfrequenz. So kann es uns guttun Aktivitäten zu unternehmen, die zum Beispiel etwas gegen den Klimawandel bewirken oder den Menschen in der Ukraine helfen.

Drei Piktogramme ("zzzz", ein Pausezeichen und eine dampfende Kaffeetasse)

Welche Strategien zur Stressbewältigung empfehlen Sie?

Eine wesentliche Strategie für Stressphasen ist, den richtigen Ausgleich von Anspannung und Entspannung zu finden. Das heißt, dass man Symptome, wie zum Beispiel Erschöpfung, Müdigkeit, Kopfschmerzen oder auch Schlafstörungen ernst nimmt und auf seine Ressourcen achtet: Mache ich ausreichend Pausen? Schlafe ich genug? Kann ich Belastungen eventuell anders verteilen oder mir Hilfe suchen. Kann ich auch einmal „Nein“ zu einer weiteren Anforderung sagen?

In unserer Klinik erleben wir oft, dass Menschen zwischen Beruf, Versorgung von Angehörigen, Familie und ihren eigenen Ansprüchen an ihre Grenzen kommen. Zusammen mit den Patientinnen und Patienten gehen wir ihren Alltag durch und suchen nach Möglichkeiten für Entlastungen und wichtigen Entspannungsphasen.

Ist Stress immer negativ?

Nein. Man unterscheidet euthymen, also positiven Stress, der belebend wirken kann, von dysthymem, negativem Stress, der unser Immunsystem schwächen kann. Euthymer Stress kann durch einen guten Wechsel von Belastung und Entlastung erreicht werden.

Linie, die mal nach oben und mal nach unten geht

Wann sollte man Hilfe von Expert:innen in Anspruch nehmen?

Wenn Ängste oder ein Stress- bzw. Überforderungsgefühl meinen Alltag so sehr beeinflussen, dass ich ihn nicht mehr oder nur noch mit großer Anstrengung bewältigen kann, würde ich sehr dringend dazu raten, sich Hilfe von Expertinnen und Experten zu suchen.

Ausrufungszeichen in Kreis

Haben Sie noch einen Tipp, um Stress zu reduzieren?

Ich versuche, so viel Zeit wie möglich in der Natur zu verbringen. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Zeit in der Natur, zum Beispiel das sogenannte Waldbaden, unseren Cortisolspiegel senken kann. Cortisol ist bekannt als Stresshormon.

stilisierte Bäume