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18.12.25 | Jugend und Schule Eltern(teil) drinnen, Kinder draußen - wenn Eltern-Kind-Beziehungen durch Mauern getrennt sind

v.l.: Dr. Georg Lunemann, der Direktor des LWL, Staatssekretär Lorenz Bahr, Wilhelmine Geenen, LWL-Landesjugendam, Jürgen Schattmann vom NRW-Familienministerium, Hilde Kugler, Bundesinitiative Netzwerk KvI, Thomas Wendland, Diakonie für Bielefeld, Jutta Möllers, LWL-Landesjugendamt, Prof. Dr. Stefanie Kemme, Universität Münster und Prof. Dr. Philipp Walkenhorst, Vorsitzender des Landespräventionsrates NRW.<br>Foto: LWL/Alexandra Heckhuis

v.l.: Dr. Georg Lunemann, der Direktor des LWL, Staatssekretär Lorenz Bahr, Wilhelmine Geenen, LWL-Landesjugendam, Jürgen Schattmann vom NRW-Familienministerium, Hilde Kugler, Bundesinitiative Netzwerk KvI, Thomas Wendland, Diakonie für Bielefeld, Jutta Möllers, LWL-Landesjugendamt, Prof. Dr. Stefanie Kemme, Universität Münster und Prof. Dr. Philipp Walkenhorst, Vorsitzender des Landespräventionsrates NRW.
Foto: LWL/Alexandra Heckhuis
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Fachtagung beleuchtet, welche Gesichtspunkte aus pädagogischer, psychologischer und rechtlicher Sicht im Strafverfahren und während der Haft relevant sind

Münster (lwl).
Wenn ein Elternteil ins Gefängnis muss, verändert sich für Kinder schlagartig der Alltag. In NRW mit seinen knapp 19.000 Haftplätzen betrifft das viele Familien, allein in den Haftanstalten Bielefeld- Brackwede, Willich I und Willch II, die Modellanstalten der Landesfachstelle Netzwerk Kinder von Inhaftierten NRW sind, waren im 2. Halbjahr 2025 fast 1.400 Kinder unter 18 Jahren von der Inhaftierung eines Elternteils betroffen. Welche Folgen die Inhaftierung eines Elternteils für Kinder hat und wie Behörden, Jugendhilfe und Justiz ihre Zusammenarbeit kindgerechter gestalten können, stand im Zentrum einer Fachtagung, zu der die Landesfachstelle am Dienstag (16.12.) ins LWL-Landeshaus nach Münster eingeladen hat. Die Landesfachstelle ist ein Kooperationsprojekt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) und des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) in Zusammenarbeit mit dem NRW-Justiz- und dem NRW-Familienministerium.

"Diese Situation führt bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen zu erheblichen emotionalen und psychosozialen sowie in vielen Fällen auch zu wirtschaftlichen Belastungen und reißt nicht selten tiefe Wunden in familiäre Strukturen. Und das vor, während und auch nach der Inhaftierung. Gleichzeitig sind diese Kinder und Jugendlichen bisher kaum im Fokus der Fach-Öffentlichkeit, sagte Dr. Georg Lunemann, der Direktor des LWL. "Aus kinderrechtlicher Perspektive gilt: Kinder haben das unveräußerliche Recht auf den Umgang mit beiden Elternteilen, auch wenn diese inhaftiert sind. Das ist in der UN-Kinderrechtskonvention klar festgehalten."
Dieses Recht des Kindes ist ein Auftrag sowohl an die Jugendhilfe als auch an den Justizvollzug, die Kinder und ihre Familien zu unterstützen. Hierfür ist eine enge Kooperation der Akteure in den unterschiedlichen Systemen notwendig. Lunemann wies auf das Konzept der "Familiensensiblen Vollzugsgestaltung in NRW" hin, dass seit dem 1. Januar 2020 in Kraft ist und darauf abzielt, die sozialen Kontaktmöglichkeiten von Kindern zu ihren inhaftierten Eltern weiter zu verbessern. "Doch es gibt noch viel zu tun, um die bestehenden Angebote weiter auszubauen und die Systeme effektiver miteinander zu vernetzen."

Um den Kindern der Inhaftierten in der besonderen Lebenssituation gelingende Aufwachsensbedingungen zu ermöglichen, hebt auch Ministerin Josefine Paul die Bedeutung von Kooperation und Vernetzung hervor: "Kinder von Inhaftierten tragen oft viel schwerere Lasten, als wir von außen sehen. Sie erleben Einsamkeit, Schuldgefühle und Vorurteile. Doch kein Kind darf wegen der Entscheidungen seiner Eltern benachteiligt werden. Auch die Kinder von Inhaftierten haben das Recht auf gleiche Chancen, auf Bildung und Unterstützung. Wir lassen sie nicht zurück. Jugendhilfe und Justizvollzug sind hier in einer Verantwortungsgemeinschaft, um kindgerechte und familiensensible Konzepte im und außerhalb des Strafvollzuges umzusetzen, sowie daran mitzuwirken, Kinderrechte zu verwirklichen. Dazu gehört auch das Recht auf Umgang mit beiden Elternteilen. In diesem Zusammenhang leistet die Landesfachstelle Netzwerk Kinder von Inhaftierten NRW einen nachhaltigen und wertvollen Beitrag, für den ich Ihnen meinen herzlichen Dank ausspreche."

Dr. Anne Künster vom Institut für Kindheit und Entwicklung betonte in ihrem Vortrag die Bedeutung von Wahrhaftigkeit gegenüber dem Kind, was die Inhaftierung des Vaters oder der Mutter betreffe, da Kinder spürten, dass etwas nicht stimme. Sie bräuchten Klarheit, auch wenn die Realität belastend sei, sowie eine offene Kommunikation. Außerdem seien regelmäßige Kontakte für die Eltern-Kind-Beziehung wichtig. Je jünger das Kind sei, desto kürzer müssten die Abstände zwischen den Kontakten sein, um die Eltern-Kind-Bindung aufrechtzuerhalten.

Thomas Wendland verdeutlichte den Wert der Begegnungs- und Kontaktmöglichkeiten von Kindern mit ihrem inhaftierten Eltern(teil) aus Kindersicht, indem er O-Töne von Kindern präsentierte, die an den Vater-Kind Gruppen des Projektes "Freiräume" der Diakonie für Bielefeld in der JVA Bielefeld- Brackwede teilnehmen. Zwei Beispiele: "Dann guck mit mir einfach ein paar Bilder von Papi an, dann bin ich auch traurig, und dann will ich das wieder vergessen. Und dann ich seh' ich meinen Papa ja trotzdem wieder", so eines der Kinder. Ein anderes Kind sagt: "Mein größter Wunsch wäre, wenn ich mit meinem Papa einmal Fußball spielen könnte, er war da noch nie dabei. Und er weiß gar nicht, wie gut ich spielen kann."

In interdisziplinär zusammengesetzten Gruppen diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Anschluss an jeden Fachvortrag über Lösungsansätze. Dabei standen folgende Fragen im Mitteipunkt: Wie funktioniert Familie unter den Bedingungen des Strafvollzugs? Wie wichtig ist der Kontakt für die Eltern-Kind-Beziehung und die kindliche Entwicklung? Wie kann die Kooperation zwischen Justizvollzug und Jugendhilfe gelingen?

Hintergrundinformationen:
Die Landesfachstelle Netzwerk Kinder von Inhaftierten NRW ist ein Kooperationsprojekt des LWL-Landesjugendamt Westfalen und des LVR-Landesjugendamt Rheinland in Zusammenarbeit mit den zuständigen Ministerien MdJ und MKJFGFI, wird von der Auridis Stiftung gefördert und setzt sich für die strukturelle Verbesserung der Versorgungslage der Kinder von Inhaftierten ein.
Landesfachstelle Netzwerk Kinder von Inhaftierten NRW: https://www.kinder-von-inhaftierten-nrw.de


Durch die Sicherheitsschleuse zu Papa - Wie Kinder den Kontakt zu einem Elternteil im Gefängnis halten können
Achtung Redaktionen: Die Story zu diesem Thema finden Sie hier: https://scomp.ly/lwl-kinder-von-inhaftierten-p
Münster (lwl).
In Deutschland leben sehr viele Kinder mit mindestens einem inhaftierten Elternteil - eine Situation, die für viele von ihnen mit Isolation, Scham und seelischer Belastung verbunden ist. Die Landesfachstelle "Netzwerk Kinder von Inhaftierten NRW", getragen vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) und von der Auridis Stiftung gefördert, setzt sich für kindgerechte Besuchsangebote und eine bessere Unterstützung der betroffenen Familien ein.

Paul ist sieben Jahre alt, als sein Vater plötzlich nicht mehr nach Hause kommt. Die Mutter erzählt von einem Job im Ausland, doch Paul merkt schnell, dass etwas nicht stimmt. Wochenlang wartet er auf ein Lebenszeichen. Schließlich erfährt er die Wahrheit: Der Vater sitzt im Gefängnis. Pauls erste Frage ist schlicht: "Wann kann ich Papa besuchen?"

In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bielefeld-Brackwede arbeitet Sozialarbeiterin Nina Roland daran, Besuche bei ihren inhaftierten Eltern(teilen) im Gefängnis für Kinder wie Paul kindgerecht zu gestalten. In einem eigens gestalteten Besucherraum mit Kuschelecke, Maltisch und Plüschtieren sollen sich Kinder sicher fühlen. Für längere Treffen steht ein familienähnlich eingerichteter Raum mit Küche und Sofa zur Verfügung. "Wir wollen, dass sich Kinder hier sicher und wohlfühlen. So schaffen wir ein Stück Normalität in einer schwierigen Situation", erklärt Roland. "Die Kinder profitieren emotional und psychisch vom Kontakt mit den inhaftierten Eltern. Studien zeigen, dass der Kontakt auch die Resozialisierung der Inhaftierten fördern kann."

Seit 2020 arbeiten inzwischen sieben Familienschwerpunktanstalten in Nordrhein-Westfalen an familienfreundlichen Konzepten. Dabei unterstützt sie die Landesfachstelle, die auch den Austausch und die Vernetzung zwischen Justizvollzug, Jugendhilfe und freien Trägern der Jugendhilfe und der Straffälligenhilfe fördert. "Mit den drei Modellanstalten JVA Bielefeld-Brackwede sowie Willich I und Willich II wollen wir familienfreundliche Maßnahmen testen und Best-Practice-Ansätze für andere Haftanstalten entwickeln", sagt Jutta Möllers vom LWL-Landesjugendamt. "Die Kinder inhaftierter Eltern sind nicht verantwortlich für die Straftaten ihrer Eltern. Sie leiden aber unter den Konsequenzen dieser Taten und benötigen besondere Unterstützung, um trotz ihrer Lebenslage ein gutes Leben führen zu können."

Die Landesfachstelle ist für Fachkräfte und betroffene Familien Anlaufstelle für alle Anfragen um das Thema Kinder von Inhaftierten und stellt verschiedene Informationsmaterialien bereit - darunter den Ratgeber "Elternteil in Haft - Wie sage ich es meinem Kind?" sowie barrierefreie Kinderbücher wie "Mama muss ins Gefängnis" und "Papa muss ins Gefängnis". Diese Materialien und weitere Informationen gibt es unter: https://scomp.ly/lwl-kinder-von-inhaftierten-p

Die Landesfachstelle "Netzwerk Kinder von Inhaftierten NRW" setzt sich für kindgerechte Besuchsangebote und eine bessere Unterstützung der betroffenen Familien ein.<br>Foto: LWL

Die Landesfachstelle "Netzwerk Kinder von Inhaftierten NRW" setzt sich für kindgerechte Besuchsangebote und eine bessere Unterstützung der betroffenen Familien ein.
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Pressekontakt

Markus Fischer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235

presse@lwl.org

Der LWL im Überblick

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit mehr als 21.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 20 Krankenhäuser, 18 Museen, zwei Besucherzentren und ist einer der größten Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.

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