09.12.25 | KulturVom Giraffenhalssaurier bis zu Online-Spielen
LWL veröffentlicht Forschungsergebnisse zu Archäologie und Paläontologie
rilon-Wülfte. Das Cover des diesjährigen Bandes zieren Bleibarren aus der römisch-augusteischen Besatzungszeit. Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/S. Brentführer
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Münster/Kreis Unna/Hochsauerlandkreis/Kreis Borken/Kreis Gütersloh/Kreis Steinfurt/Kreis Warendorf/Kreis Recklinghausen/Kreis Lippe (lwl). In seiner neuen Publikation "Archäologie in Westfalen-Lippe 2024" zeigt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Ergebnisse und die Methoden, mit denen Fachleute die paläontologische und archäologische Vergangenheit Westfalens erforschen. "Die Entdeckungen reichen vom Giraffenhalssaurier aus der Mittleren Trias - etwa 247 bis 235 Millionen Jahre alt - über Blei für die Römer und frühmittelalterliche Burgen bis zu Online-Spielen", sagt LWL-Chefarchäologe Prof. Dr. Michael Rind.
85 Beiträge von 102 Autor:innen informieren über aktuelle Forschungsergebnisse und blicken auf die zentrale Ausstellungen in Westfalen im vergangenen Jahr zurück.
Im Vorfeld des 1.250-jährigen Jubiläums der Ersterwähnung Westfalens standen zwei Forschungsprojekte im Mittelpunkt, die sich mit den Siedlungsentwicklungen und mit den Burgen im Frühmittelalter beschäftigen. Untersuchungen der LWL-Archäologie in Bielefeld zeigen, dass sich die Besiedlung Ostwestfalens im 6./7. Jahrhundert auf wenige Kernräume konzentrierte, bevor der karolingische Landesausbau im 8. und 9. Jahrhundert deutlich zunahm. Gleichzeitig gegründete Wallburgen spielten vermutlich eine wichtige Rolle bei der Besiedlung einzelner Flussabschnitte.
Die Altertumskommission für Westfalen untersucht seit 2024 westfälische Burgen mit minimalinvasiven Methoden wie Rammkernsondagen, um genauere Datierungen zu erhalten. "Die Burgenforschung ist seit den Anfängen der Altertumskommission eines unserer wichtigsten Betätigungsfelder. Heute geschieht dies möglichst durch minimalinvasive Untersuchungen. Eine Rammkernsondierung beispielsweise verursacht keine substanziellen Schäden. Damit ist sie bestens für die Untersuchung geschützter Denkmäler geeignet", so Dr. Aurelia Dickers, Vorsitzende der Altertumskommission für Westfalen. Im Fokus des aktuellen Projektes stehen Befestigungsanlagen aus der Zeit, als Karl der Große ab 772 nach Westfalen kam. Erste Untersuchungen stellten bereits bisherige zeitliche Einordnungen infrage.
Digitale Methoden spielen eine zunehmende Rolle - von der Prospektion mit Geomagnetik über 3D-Scans - zum Beispiel von einer Brauerei in Dülmen - bis zur Gründungsgeschichte um das Kloster Cappenberg. Diese war unter anderem Ausgangpunkt für ein Online-Spiel. "Wie erfolgreich unsere digitale Strategie ist, zeigen auch mehr als 100.000 heruntergeladene Beiträge aus der Zeitschrift 'Archäologie in Westfalen-Lippe' im Jahr 2025. So viele Leser würden wir allein mit gedruckten Bänden nicht erreichen", resümiert Rind.
Die Publikation "Archäologie in Westfalen-Lippe 2024" ist für 19,50 Euro in Buchhandlungen, in den LWL-Museen in Herne, Haltern und Paderborn sowie im Internet unter https://www.archaeologie-und-buecher.de erhältlich. Die Beiträge erscheinen nach einem Jahr auch online über Open Access kostenfrei. Gerade ist die "Archäologie in Westfalen-Lippe 2023" online gegangen: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/aiw/issue/view/7520.
Archäologie in Westfalen-Lippe 2024
Herausgegeben von der LWL-Archäologie für Westfalen und der Altertumskommission für Westfalen
Langenweißbach 2025
344 Seiten, durchgehend farbig bebildert
ISBN 978-3-95741-262-1
ISSN 2191-1207
19,50 Euro (im Abo nur direkt über den Verlag: 18,50 Euro)
Erhältlich über jede Buchhandlung und im Onlineshop des Verlages Beier & Beran.
Ein Blick ins Buch: Auswahl an Beiträgen
Im Raum Meschede und darüber hinaus hat ein Sammler über Jahrzehnte etliche Steinartefakte zusammengetragen. Darunter ist ein bisher unbekannter endneolithisch-frühbronzezeitlicher Flintdolch (etwa 2300-1500 v. Chr.), der 2005 bei Oelinghauserheide in der Stadt Arnsberg (Hochsauerlandkreis) gefunden worden ist. Die Gestalt des Flintdolchs aus Baltischem Feuerstein ist eher ungewöhnlich, es sind nur wenige ähnliche Vergleiche zu diesem Stück bekannt. Bemerkenswert ist die sorgfältige Bearbeitung der Kanten der mehr als 17 Zentimeter langen Dolchklinge.
Eine Fundgeschichte auf einem Acker bei Rhede (Kreis Borken): Sondengehende fanden ein unscheinbares Fragment aus grün korrodiertem Buntmetall. Nach wochenlangen intensiven Begehungen kamen nach und nach mehrere Teile eines zerbrochenes Bronzeschwerts aus der Zeit von 1500 bis 1300 v. Chr. zutage. Eine Nachgrabung brachte anschließend eine bronzezeitliche Bestattungsgrube zum Vorschein.
Blei war in der älteren römischen Kaiserzeit in der indigenen Kultur Westfalens fast unbedeutend. Trotzdem werden immer wieder Horte mit kleinen Bleibarren entdeckt, wie 2023 von Marcell Stipp bei Brilon-Wülfte (Hochsauerlandkreis). Sie bieten neue Ansatzpunkte für das Verständnis der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den einheimischen Völkern und den römischen Armeeeinheiten in Westfalen von 12 v. Chr. bis 16. n. Chr. Die Bleibarren zieren auch den Umschlag des diesjährigen Bandes.
Die Ausgrabungen in der Wasserstraße 39 in Rheda-Wiedenbrück (Kreis Gütersloh) ermöglichten Einblicke in die städtische Entwicklung und zeigten, dass die Wasserstraße zurecht diesen Namen trägt. Eine erste Trockenlegung für die Aufsiedlung östlich der Altstadt fand um die Mitte des 13. Jahrhunderts statt. Das hohe Grundwasser hatte Holzreste erhalten, die eine komplex konstruierte Rand- und Oberflächenbefestigung einer ehemals feuchten Senke offenbarten. Außerdem haben sich organische Funde wie Lederreste von Schuhen erhalten.
Die Neugestaltung eines Platzes an der Kautenstege in der Altstadt Burgsteinfurts (Kreis Steinfurt) berührte das Gelände eines Burgmannshofes aus der Zeit vor 1319 und den Standort der 1763/1764 erbauten und 1938 zerstörten Synagoge. Durch die Kombination von Archivalien und Grabungsbefunden ließen sich Besitzer sowie Lage und Größe der Bebauung vor Errichtung der Synagoge rekonstruieren. Vieles spricht dafür, dass das ungewöhnlich große Gebäude zum Burgmannshof gehörte. Teilfreilegungen der Synagogenfundamente erlaubten eine präzise Lokalisierung des Baukörpers, während teils unveröffentlichte Unterlagen, Grundrisse und Ansichten die Synagoge anschaulich werden lassen.
Keramikfunde helfen bei der Datierung, weshalb die Erforschung der Produktionsstätten wichtig ist. Besonders, wenn Warenarten nur eine kurze Laufzeit hatten, sich also für eine enge Datierung auf wenige Jahrzehnte eignen. Eine solche Gelegenheit ergab sich durch ein Neubauvorhaben an der Königstraße in Telgte (Kreis Warendorf), am Standort der ehemaligen Fayencerie, deren Existenz von 1761 bis 1822 belegt ist. Überreste der Produktionshallen wurden ebenso dokumentiert wie zahlreiche Scherben von Tellern und anderem Geschirr.
Ein zweitägiges Kolloquium anlässlich 125 Jahre Ausgrabungsbeginn der römischen Hinterlassenschaften in Haltern am See (Kreis Recklinghausen) beschäftigte sich im Juni 2024 mit dem Archäologen Carl Schuchhardt und seiner Arbeit. Die Resultate der Vorträge und eine Sondage erbrachten den Nachweis, dass das augusteische Kastell auf dem Annaberg, wo es Schuchhardt vermutete, niemals existierte.
Wie komplex Archäologie sein kann, zeigten Ausgrabungen in Gronau-Markenfort (Kreis Borken), wo Gräber und Siedlungsbefunde vom Endneolithikum bis zur römischen Kaiserzeit zutage kamen. Aus dem Endneolithikum (ca. 2800-2000 v. Chr.) stammt ein Grab, aus dem Flintgeräte und Keramik geborgen wurden. Weitere Gräber ebenso wie Siedlungen stammen aus der Bronzezeit, der Eisenzeit und der frühen römischen Kaiserzeit. Danach wurde der Ort jedoch erst etwa eintausend Jahre später, anscheinend um 1150 bis 1175, als Acker genutzt.
Ein vor 200 Jahren in Bad Salzuflen (Kreis Lippe) entdecktes Urnen- und Brandgräberfeld der vorrömischen Eisenzeit wurde für damalige Verhältnisse vorbildlich dokumentiert und 1839 publiziert. Viele dieser Urnen sind im Lippischen Landesmuseum Detmold zu sehen. Dass aber neun Urnen in den 1970er-Jahren aus dem Müllcontainer eines geräumten Gymnasiums gerettet, jetzt der LWL-Archäologie übergeben wurde und diesem Gräberfeld zugeordnet werden konnten, ist ein Glücksfall. Dieses Gräberfeld ist eines von 15 weiteren der vorrömischen Eisenzeit, die für die Siedlungsgunst dieses Raumes sprechen.
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Mehrere Kreise. Der Weserverlauf zwischen Bad Oeynhausen und Porta Westfalica-Eisbergen im 8./9. Jahrhundert bezüglich neuer Siedlungsräume im Frühmittelalter. Kartengrundlage: Land NRW (2025) - Linzenz dl-de/zero2-0; Grafik: LWL-Archäologie für Westfalen/S. Spiong, G. Thenhausen
Mehrere Kreise. Rammkernsondage auf der Hohensyburg. Foto: Altertumskommission für Westfalen/ V. Brieske
Tecklenburg-Leeden. Graustufendarstellung der Magnetometerprospektion auf dem digitalen Geländemodell mit Deutscher Grundkarte 1:5.000 (3dm, dgk5hoe und dgk5gru). Kartengrundlage: Land NRW 82025) - Lizenz dl-de/zero-2-0; Messung: Posselt & Zickgraf Prospektionen/T. Riese
Dülmen. Vermutlicher Zwickelkeller mit Gewölbedecke. Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/M. Zeiler
Selm-Cappenberg. Der Animationsfilm "Cappenberg 1122" erzählt mit Illustrationen von Niklas Schwartz, die von Annette Jung animiert wurden, von den dramatischen Ereignissen rund um die Gründung des Klosters Cappenberg. Film: LWL-Medienzentrum für Westfalen und LWL-Museum für Kunst und Kultur; www.youtube.com/ watch?v=6lhk6udLnCk
Selm-Cappenberg. Bodenradarmessungen im Cappenberger Schlosspark im März 2022. Foto: VIRTEUM/H. Schulze Altcappenberg; www.virteum.de/geschichte/prospektion-burg-cappenberg (Zugriff 25.7.2025)
Arnsberg-Oelinghauserheide. Ein Flintdolch skandinavischen Typs. Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/T. Poggel
Rhede. Restauriertes rapierartiges Griffplattenschwert der Variante Bonstorf. Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/S. Brentführer
Rheda-Wiedenbrück. Der freigelegte Holzbefund von Nordwesten. Foto: Archäologie am Hellweg eG/U. Holtfester
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit mehr als 21.000
Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen,
20 Krankenhäuser, 18 Museen, zwei Besucherzentren und ist einer der größten Hilfezahler für
Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten-
und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit
wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen
Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die
Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein
Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
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