27.05.25 | Psychiatrie "Ich muss den ersten Schritt machen"
Aber die LWL-Kliniken bieten zahlreiche Hilfen auf dem Weg aus der Einsamkeitsspirale
Anke Rasch hat sich wieder mit viel eigener Kraft und therapeutischer Hilfe der LWL-Klinik Lippstadt aus ihrer Alkoholsucht und ihrer Einsamkeit herausgekämpft.
Bild: LWL/Nikolaus Urban
Achtung Redaktionen: Die ganze Geschichte und Hintergrundmaterial finden Sie hier: https://scomp.ly/lwl-einsamkeit-p
Münster/Lippstadt/Bochum (lwl). Alkoholsucht und Depression sind schlimm genug, können aber über die Krankheit hinaus zu einem Leben in Einsamkeit führen. Anke Rasch hat das erlebt und sich mit viel eigener Kraft und therapeutischer Hilfe aus der Klinik Lippstadt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) wieder herausgekämpft.
Anke Rasch hatte sich zurückgezogen, saß oft alleine, lag im Bett, schaute lange aus dem Fenster. Neben ihr stand schon morgens ein Glas Weißwein. Bis zum Abend wurden es oft mehrere Flaschen, und das wochenlang.
Heute weiß sie, dass sich bei ihr ein Muster wiederholte: "Ich bin schon lange alkoholabhängig, konnte das Trinken aber jahrelang gut kontrollieren." Bis Corona kam: Sie arbeitete im Reisebüro, das mit den ersten Ausgangsbeschränkungen im März 2020 direkt schließen musste. Niemand wollte und durfte mehr reisen. "Ich war plötzlich alleine zu Hause, abgeschnitten vom Alltag", sagt Rasch. Die Langeweile wurde zu einem Problem. Und irgendwann griff sie wieder zum Alkohol.
Mithilfe von Verwandten, die sich Sorgen gemacht hatten, ging sie in die LWL-Klinik Lippstadt. Nach fünf Tagen Entgiftung folgte eine längere stationäre Behandlung. In der Therapie wurde schnell klar, dass der Alkohol nicht ihr einziges Problem war. Die Einsamkeit war ebenso schwer zu bewältigen. Die Schuldgefühle, das Gefühl, andere vor den Kopf gestoßen zu haben, hielten sie davon ab, wieder auf Menschen zuzugehen. "Ich habe mich oft gefragt, was die anderen wohl denken. Aber in der Therapie wurde mir klar: Ich muss den ersten Schritt machen, sonst bleibt alles, wie es ist."
Judith Marke arbeitet in der LWL-Klinik Lippstadt als Leitende Psychologin in der Suchtabteilung und ist auch in der Suchtambulanz tätig. Sie begleitete Anke Rasch durch die schwierige Zeit. "Frau Rasch war zu Beginn sehr niedergeschlagen. Sie hatte ein starkes Schuldgefühl, war unsicher. Aber gleichzeitig war da diese soziale Seite in ihr, die verschüttet war unter all der Angst und dem Rückzug. Wir haben daran gearbeitet, dass sie wieder Vertrauen fasst, in sich selbst und in andere."
Marke: "Die Patientinnen und Patienten müssen selbst etwas tun und auch neue Gewohnheiten lernen." Das ist nicht einfach, zumal die Sucht oft schleichend beginnt, aus der Vorliebe zum Beispiel für einen guten Wein. "Wenn im Leben dann krisenhafte Ereignisse auftreten, wird Alkohol häufig als Problemlöser genutzt", erklärt Marke. "Durch die kurzfristigen, positiven Konsequenzen von Alkohol kann es daher schnell schleichend zur Entwicklung einer Abhängigkeit kommen. Häufig mündet diese in Gefühlen von Einsamkeit und Schuld."
Anke Rasch besuchte nach dem erfolgreichen Klinikaufenthalt die LWL-Suchtambulanz in Lippstadt. Hier arbeitet sie weiter daran, nicht wieder in alte Verhaltensmuster zu fallen. Dazu gehörten und gehören auch Hausbesuche von Judith Marke. "Es ist ganz wichtig, dass wir das soziale Umfeld kennenlernen, um die beste Therapie bieten zu können", betont Marke.
Prof. Dr. Georg Juckel, Ärztlicher Direktor des LWL-Universitätsklinikums Bochum, erforscht das Thema Einsamkeit und stellt fest: "Einsamkeit und psychische Störungen gehören eng zusammen. Auf der einen Seite führt das dauerhafte Gefühl von Einsamkeit zu psychischen und körperlichen Folgen wie Sucht, Angst oder Depression. Auf der anderen Seite sind viele unserer Patientinnen und Patienten mit einer psychiatrischen Erkrankung von Einsamkeit betroffen. Sie sind ein Stück weit von der Gesellschaft ausgegrenzt, Familien lassen sie fallen, sie haben Schwierigkeiten am Arbeitsplatz." Was natürlich die psychische Erkrankung wiederum nochmal verstärke, so Juckel: "Ein Teufelskreis!"
"Wir wissen, dass vor allem alte Menschen betroffen sind. Aber die neue Erkenntnis der letzten Jahre ist, dass es zunehmend auch junge Menschen gibt, vor allem zwischen 20 und 30 Jahren, die allzu häufig angeben, dass sie von dem Gefühl der Einsamkeit betroffen sind. Das ist sicherlich ein sehr ernst zu nehmendes, gesellschaftliches Problem", betont Juckel.
Anke Rasch half die Behandlung sehr. Nach und nach nahm sie wieder Kontakt zu alten Bekannten auf. Mit der Zeit kehrte auch die Struktur in ihren Alltag zurück. Sie fand wieder Arbeit, zuerst in einem befristeten Job, nun hat sie eine feste Stelle als Reiseverkehrskauffrau. "Es ist nicht immer einfach", sagt sie, doch sie hat Strategien entwickelt, um sich selbst zu stabilisieren. "Ich weiß jetzt, dass ich früher reagieren muss. Ich kann mir keinen Rückzug mehr erlauben. Wenn ich merke, dass ich mich wieder einigle, dann rede ich mit jemandem."
Für den Direktor des LWL, Dr. Georg Lunemann, gehört das Problem Einsamkeit in einen größeren Zusammenhang: "Einsamkeit kann das Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft vermindern und so auch zu einem gesellschaftlichen und politischen Thema werden. Bund und Länder haben das Problem erkannt und versuchen mit einer Reihe von Maßnahmen gegenzusteuern. Auch wir beim LWL blicken auf die Einsamkeit und unternehmen viele Schritte, um sie einzudämmen. Allen voran unsere Kliniken, die das therapieren, was oft mit Einsamkeit zusammenfällt: Süchte, Depressionen oder Ängste."
Am besten sei es natürlich, gar nicht erst einsam zu werden. Lunemann: "Unsere Fachleute raten: Pflegen Sie Ihre sozialen Kontakte. Nehmen Sie Einladungen an, gehen Sie zu Partys, auch wenn Sie sich müde fühlen. Laden Sie andere ein. Pflegen Sie Ihre Interessen in Vereinen. Legen Sie so oft wie möglich das Handy zur Seite und reden Sie persönlich. Wir Menschen sind soziale Wesen. Alles, was uns zusammenbringt, macht uns glücklich." Lunemanns Appell: "Ein Lächeln, eine Umarmung, ein gemeinsames Mittagessen, ein Lob, ein Trost, ein Dank, eine Runde Kekse, ein besonderer Glückwunsch - es gibt so viele Möglichkeiten, auf Kolleginnen, Kollegen, auf liebe Menschen in Ihrer Nähe zuzugehen. Machen Sie den ersten Schritt!"
Info
Das Thema Einsamkeit bleibt beim LWL weiter aktuell: Die LWL-Klinik Warstein veranstaltet regelmäßig Psychotherapie-Symposien als Fortbildungsveranstaltung für Fachleute. In der 34. Ausgabe am 6. Juni mit dem Titel "Die neue Einsamkeit" sollen die Erscheinungsformen von Einsamkeit, die Bedeutung von Social Media sowie der Zusammenhang zwischen Einsamkeit und psychischen Erkrankungen fachlich näher beleuchtet werden. Gemeinsam erörtern die Fachleute Wege aus der Isolation sowie Behandlungsmöglichkeiten. Expert:innen aus den LWL-Kliniken Lippstadt und Warstein, der Uni Erlangen-Nürnberg und der Universitätsklinik Bonn halten Vorträge rund um das Thema Einsamkeit. Mehr Informationen dazu finden Sie hier: https://www.lwl-fortbildung-warstein.de/de/34-warsteiner-psychotherapie-symposion/
Anke Rasch (l.) besuchte die LWL-Suchtambulanz in Lippstadt. Hier arbeitet sie weiter daran, nicht wieder in alte Verhaltensmuster zu fallen. Psychologin Judith Marke von der LWL-Klinik Lippstadt besucht sie dabei auch zu Hause.
Bild: LWL/Nikolaus Urban
Prof. Dr. Georg Juckel vom LWL-Universitätsklinikum Bochum: "Zunehmend geben auch junge Menschen an, dass sie von dem Gefühl der Einsamkeit betroffen sind. Das ist sicherlich ein sehr ernst zu nehmendes, gesellschaftliches Problem."
Bild: LWL/Nikolaus Urban
Pressekontakt
Thorsten Fechtner, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
Der LWL im Überblick
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit mehr als 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 20 Krankenhäuser, 18 Museen, zwei Besucherzentren und ist einer der größten Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
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