Transkript anzeigen Abspielen Pausieren

28.03.24 | Kultur Eröffnung und Vortrag: "Überleben!"

Studioausstellung zum Kriegsgefangenenlager Stalag 326 im LWL-Archäologiemuseum

Die Verzierungen auf dem Aluminium-Feldgeschirr, das die Kriegsgefangenen zur Versorgung benötigten, sicherten einerseits den Besitz, andererseits waren sie eine Überlebensstrategie und dienten zur Unterstützung der mentalen Gesundheit.<br>Foto: LWL/ S. Brentführer

Die Verzierungen auf dem Aluminium-Feldgeschirr, das die Kriegsgefangenen zur Versorgung benötigten, sicherten einerseits den Besitz, andererseits waren sie eine Überlebensstrategie und dienten zur Unterstützung der mentalen Gesundheit.
Foto: LWL/ S. Brentführer
Nutzungsrechte und Download Zu weiteren Bildern

Herne (lwl). Von Donnerstag (4.4.) bis zum 26. Mai zeigt das LWL-Museum für Archäologie und Kultur in Herne die Studioausstellung "Überleben!". Im Rahmen der aktuellen Sonderausstellung "Modern Times" über archäologische Funde der Moderne steht damit ein weiteres westfälisches Bodendenkmal im Rampenlicht: das ehemalige Kriegsgefangenenlager Stalag 326 (VI K) Senne in Schloss Holte-Stukenbrock (Kreis Gütersloh). Neben der offiziellen Eröffnung erwartet die Besucher:innen am Donnerstag um 19 Uhr ein Vortrag der LWL-Archäologen Dr. Sven Spiong und Dr. Michael Malliaris. Der Vortrag und der Eintritt in die Studioausstellung sind kostenfrei.

LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger: "Die zirka 75 Funde und Fundkomplexe, darunter über 1.000 Erkennungsmarken der Häftlinge, zeugen eindrucksvoll vom Schicksal der Menschen, die hier während des Zweiten Weltkriegs inhaftiert waren - und von ihrem Kampf ums Überleben." Dessen Dokumentation sei dem LWL ein besonderes Anliegen. "Wir wollen die Erinnerung an die Geschichte von Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit in der NS-Zeit wach halten und damit ein Zeichen setzen in Zeiten, da der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist." Aus diesem Grund soll in den nächsten Jahren auf dem ehemaligen Lagergelände ein Dokumentationszentrum und eine Gedenkstätte entstehen. Die Studioausstellung im Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) präsentiert vorab erste Erkenntnisse der archäologischen Untersuchungen.

LWL-Chefarchäologe Prof. Dr. Michael Rind: "Eine Herausforderung für die LWL-Archäologie für Westfalen bildet sicherlich die Masse an Funden, ihre Aufbewahrung und Konservierung, darunter allein ein Berg von über 1.000 Schuhen aus der sogenannten Nachnutzungszeit des Lagers. Sie stehen stellvertretend für ein Problem, mit dem sich die Archäologie der Moderne häufig konfrontiert sieht: Was soll restauriert und eingelagert werden?" Jedes Zeugnis sei für die Nachwelt möglicherweise von Bedeutung. "Vor allem archäologische Funde liefern wertvolle Hinweise für die detaillierte Rekonstruktion von Abläufen. Denn nicht jeder Schritt ist schriftlich dokumentiert, Zeitzeugen erinnern sich nicht an alles. Zudem sind die archäologischen Quellen handfeste Beweise, die jeder Relativierung standhalten." Ihre verantwortungsvolle Auswahl durch Archäolog:innen berge auch im Falle von Stalag ein großes Potential. Rind: "Eine abschließende Auswertung der Ausgrabungen steht noch aus."

Erste wichtige Erkenntnisse, die auch in der Ausstellung "Überleben!" präsentiert werden, sind beispielsweise Bodenverfärbungen, die Erdlöcher belegen, von den sowjetischen Kriegsgefangenen in der Anfangszeit des Lagers als Unterkunft gegraben. Rind: "Ihr Ausmaß zeigt der Nachwelt, dass diese in sehr unterschiedlichen Größen existierten, von sehr klein bis groß genug für mehrere Männer." So ermöglichen Bodenverfärbungen und Funde die Rekonstruktion des Lagerlebens und der unmenschlichen Behandlung der Gefangenen.

Museumsleiterin Dr. Doreen Mölders: "Da wir uns in der Sonderausstellung 'Modern Times' nicht nur nationalen, sondern auch internationalen Bodendenkmälern widmen, haben wir uns entschieden, mit einzelnen Studioausstellungen zusätzlich regionale Schwerpunkte zu setzen." So könne man den Besuchenden den archäologischen Standort Westfalen-Lippe in all seinen Facetten näher bringen.

"Nach der Studioausstellung zu den Kriegsendphaseverbrechen im Arnsberger Wald zeigen wir wieder eine Schau, die aufwühlt. Berührende Funde in der aktuellen Studioausstellung gibt es viele, besonders hervorzuheben ist sicherlich das Alugeschirr mit den teilweise sehr persönlichen Ritzzeichnungen der Gefangenen." Das können Namen und Daten sein oder Landschaften. Mölders: "Weil Essgeschirr so essentiell für das Überleben war, wird es nach dem Tod häufig weitergenutzt und von den Kriegsgefangenen mit neuen Zeichnungen überschrieben."

Außerdem zeigt das LWL-Museum für Archäologie und Kultur Objekte, die der "Förderverein Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne e. V." zur Verfügung stellt. Dabei handelt es sich um selbst hergestellte kunsthandwerkliche Gegenstände wie einen Holzteller, ein Strohkästchen oder ein Gemälde. Mölders: "Sie stammen von Kriegsgefangenen, die aufgrund ihrer künstlerischen oder handwerklichen Fähigkeiten beauftragt wurden, entsprechende Gegenstände für die Nationalsozialisten herzustellen. Nur so konnten sie ihr Überleben sichern."

Sechs Themenbereiche beleuchten den Aufbau des Lagers im Zweiten Weltkrieg, den Lebensalltag und das Überleben der sowjetischen Kriegsgefangenen. Ein siebter widmet sich der Nachnutzung von Stalag 326. Eine digitale Tour mit den Objekttexten und zusätzlichem Bildmaterial ist auf dem Multimediaguide des Museums verfügbar.

Hintergrund

Stalag 326 ("Stammlager") war während des Zweiten Weltkrieges mit über 300.000 durchgeschleusten sowjetischen Kriegsgefangenen das größte Lager dieser Art ("Russenlager") im Deutschen Reich. Es war zentrale Drehscheibe für die "Versorgung" mit Zwangsarbeitern auf Bauernhöfen und Fabriken in Westfalen und im Rheinland. Auf dem nahegelegenen Ehrenfriedhof sowjetischer Kriegsopfer sind Tausende Tote begraben.

Ab Anfang April 1945 internierte die US-Armee auf dem 400.000 Quadratmeter großen Gelände für kurze Zeit deutsche Kriegsgefangene. 1946/47 nutzten die Briten das Lager zur Internierung von ranghohen Nationalsozialisten und Kriegsverbrechern. Im Anschluss wurden in den Unterkünften Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht. Seit 1970 befindet sich auf dem ehemaligen Lagergelände ein Polizeiausbildungsinstitut.

Vortrag

In der Studioausstellung "Überleben!" präsentiert das LWL-Archäologiemuseum nun erstmals in einer Ausstellung die Ergebnisse der aktuellen Forschung. Die Ausstellung wird am Donnerstag (4.4.) im Anschluss an einen Vortrag um 19 Uhr eröffnet. Im Vortrag beleuchten die LWL-Archäologen Dr. Michael Malliaris und Dr. Sven Spiong die Entdeckungsgeschichten im Kriegsgefangenenlager Stalag 326 VI K in Stukenbrock. Seit 2017 begleitet die LWL-Archäologie die archäologischen Untersuchungen.

Der Vortrag findet im Rahmen der Vortragsreihe zur aktuellen Sonderausstellung "Modern Times. Archäologische Funde der Moderne und ihre Geschichten" im LWL-Museum für Archäologie und Kultur in Herne statt. Der Vortrag ist kostenlos.

Zu den Referenten

Dr. Michael Malliaris ist Leiter des Referates für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie der LWL-Archäologie für Westfalen. Er war Leiter zahlreicher archäologischer Grabungen in ganz Deutschland mit Schwerpunkten in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin. Von 2008 bis 2022 leitete er die Ausgrabungen am Schlossplatz und Molkenmarkt in Berlin-Mitte, bei denen zahlreiche Befunde zur Archäologie der Moderne zutage traten.

Dr. Sven Spiong ist seit 2015 Leiter der Außenstelle Bielefeld der LWL-Archäologie für Westfalen. Zwischen 1999 und 2003 war er im Team zur Konzeption der Dauerausstellung in Herne für die jüngeren Epochen vom Frühmittelalter bis zur Archäologie der Moderne verantwortlich. Seit der Eintragung des Stalags 326 (VI K) im Jahr 2017 begleitete er dort zwölf archäologische Untersuchungen.

Die Sonderausstellung "Modern Times"

Die Sonderausstellung "Modern Times. Archäologische Funde der Moderne und ihre Geschichten" zeigt anhand von etwa 100 Fundplätzen archäologische Objekte der vergangenen 200 Jahre. Sie befasst sich mit den Beziehungen zwischen dem Menschen und diesen Objekten und ordnet sie sechs Kategorien zu: Innovation, Gefühl, Zweck, Besonderes, Zerstörung und Erinnerung. Jedes Exponat erzählt eine eigene Objektgeschichte und wird außerdem historisch und archäologisch eingeordnet.

Das LWL-Museum für Archäologie und Kultur, Westfälisches Landesmuseum

Das LWL-Museum für Archäologie und Kultur ist das zentrale Schaufenster der LWL-Archäologie in Westfalen und materieller Spiegel der Menschheitsgeschichte dieser Region. Um ein breites Publikum für die Archäologie und Kulturgeschichte zu begeistern, entwickelt das Museums-Team Ideen und verwirklicht Ausstellungskonzepte. Im Mittelpunkt stehen ausgegrabene Fundstücke, deren Erforschung Grundlage für Geschichten ist. Eine Inszenierung und Dramaturgie macht diese Inhalte für die Besucher:innen erfahrbar. Mitmachen, Anfassen und Ausprobieren sind dabei ausdrücklich erwünscht.

Mehr Infos: http://www.lwl-landesmuseum-herne.de

LWL-Museum für Archäologie und Kultur, Europaplatz 1, 44623 Herne, Tel. 02323 94628-0

Mehr als 1.400 Häftlingsmarken konnten aus dem Oberboden des ehemaligen Vorlagers geborgen werden.<br>Foto: LWL/ A. Madziala

Mehr als 1.400 Häftlingsmarken konnten aus dem Oberboden des ehemaligen Vorlagers geborgen werden.
Foto: LWL/ A. Madziala

Zudem zeigt das LWL-MAK Objekte, die der Förderverein Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne e. V. zur Verfügung stellt. Dabei handelt es sich um selbst hergestellte kunsthandwerkliche Gegenstände, wie einen Holzteller, ein Strohkästchen oder ein Gemälde."<br>Foto: LWL-MAK, L. Mentzl

Zudem zeigt das LWL-MAK Objekte, die der Förderverein Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne e. V. zur Verfügung stellt. Dabei handelt es sich um selbst hergestellte kunsthandwerkliche Gegenstände, wie einen Holzteller, ein Strohkästchen oder ein Gemälde."
Foto: LWL-MAK, L. Mentzl

Zudem zeigt das LWL-MAK Objekte, die der Förderverein Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne e. V. zur Verfügung stellt. Dabei handelt es sich um selbst hergestellte kunsthandwerkliche Gegenstände, wie einen Holzteller, ein Strohkästchen oder ein Gemälde."<br>Foto: LWL-MAK, L. Mentzl

Zudem zeigt das LWL-MAK Objekte, die der Förderverein Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne e. V. zur Verfügung stellt. Dabei handelt es sich um selbst hergestellte kunsthandwerkliche Gegenstände, wie einen Holzteller, ein Strohkästchen oder ein Gemälde."
Foto: LWL-MAK, L. Mentzl

Pressekontakt

Dr. Carolin Steimer, Tel.: 0251 591-8946 und Frank Tafertshofer, Tel.: 0251 591-235

presse@lwl.org

LWL-Museum für Archäologie und Kultur Herne

Westfälisches Landesmuseum
Europaplatz 1
44623 Herne Karte und Routenplaner

Der LWL im Überblick

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit mehr als 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 20 Krankenhäuser, 18 Museen, zwei Besucherzentren und ist einer der größten Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.

Zu allen Pressemitteilungen des LWL Zu allen Pressemitteilungen dieser LWL-Einrichtung