Münster (lwl). Ein römischer Dolch aus Haltern am See, der größte eisenzeitliche Waffenfundplatz Nordrhein-Westfalens auf dem Wilzenberg und ein Münzschatzfund aus dem 14. Jahrhundert zeigen, wie vielfältig die archäologische und paläontologische Landschaft Westfalens ist.
In der neuen Publikation "Archäologie in Westfalen-Lippe 2019" des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) erfahren Leser auch etwas über europäische Austauschnetze in der Steinzeit, Archäologie mit Sprengstoff und wiederentdeckte Kirchen. In insgesamt 79 Beiträgen informieren 98 Autorinnen über die aktuellen Forschungsergebnisse aus Archäologie und Paläontologie und die größten Ausstellungen in Westfalen im Jahr 2019.
Auf 340 Seiten laden LWL-Archäologie für Westfalen und die Altertumskommission für Westfalen die Leser zu einer Reise zu den verschiedensten Fundplätzen und in verschiedene Epochen ein: Steinzeitliches aus dem Münsterland, Dolche im Ruhrgebiet und keltisches Eisen im Sauerland. Zehn Jahre Forschung seit Erscheinen des ersten Bandes der Reihe haben zu zahlreichen neuen Ergebnissen geführt. Daher war es an der Zeit, eine aktualisierte Neuauflage der großen "Zeittafel für Westfalen" zu veröffentlichen. Die auch bei Studenten beliebte Übersicht liegt dem Band bei und kann wieder herausgenommen werden.
"Das Jahr 2019 hat für die LWL-Archäologie wieder einige Überraschungen bereitgehalten, darunter international Aufsehen erregende Höhepunkte wie der römische Dolch aus Haltern am See", sagt Prof. Dr. Michael Rind, Chefarchäologe des LWL. "Durch die Arbeit unserer Archäologen können wir immer wieder neue Erkenntnisse zur Entwicklung unserer Kulturlandschaft gewinnen. Das hilft uns zu verstehen, weshalb unsere Region sich heute so darstellt, wie sie ist", so Rind weiter. Der Blick in vergangene Zeiten sei nicht nur für jetzige Generationen wichtig, sondern auch für die zukünftigen.
"Die Archäologie selbst und vor allem ihre Methoden entwickeln sich rasant in diesen Zeiten", sagt Dr. Aurelia Dickers, Vorsitzende der Altertumskommission. "So ist es inzwischen üblich, auch auf Techniken wie 3D, Bodenradar und Computertomografie zurückzugreifen, um die Bodendenkmäler und Funde entweder einfacher oder schonender zu untersuchen", erklärt die Archäologin. Der neue Band biete außer Fachleuten auch interessierten Laien einen guten Einblick in die neusten Methoden der archäologischen Arbeit.
Der aktuelle Band ist in jeder Buchhandlung, in den LWL-Museen in Herne, Haltern und Paderborn sowie im Internet unter http://www.archaeologie-und-buecher.de zum Preis von 19,50 Euro erhältlich. Die Beiträge des Bandes stehen nach einem Jahr auch online über Open Access kostenfrei zur Verfügung, wo ab sofort auch die Beiträge des Jahresrückblicks 2018 als Download bereitstehen. Weitere Informationen gibt es unter http://www.lwl-archaeologie.de.
Archäologie in Westfalen-Lippe 2019
Herausgegeben von der LWL-Archäologie für Westfalen und der Altertumskommission für Westfalen
340 Seiten, durchgehend farbig bebildert
Verlag Beier & Beran
Langenweißbach 2020
ISBN 978-3-95741-132-7
ISSN 2191-1207
19,50 Euro
Ein Blick ins Buch: Auswahl an Beiträgen
In Schöppingen (Kreis Borken) wurde 2019 ein Jadeitbeil wiederentdeckt. Privatpersonen haben es bereits 1959 gefunden, es war dann aber verschollen. Jetzt konnte die Besitzerin des 25 Zentimeter langen Beils aus dem hellgrünen Gestein ausfindig gemacht und das Stück wissenschaftlich dokumentiert werden. Als das Beil vor etwa 6.000 Jahren in Westfalen in die Erde gelangte, hatte es bereits eine weite Reise hinter sich: Das Gestein für diese Stücke wurde in den italienischen Westalpen abgebaut und in Frankreich überarbeitet. Als Werkzeuge waren sie nicht zu gebrauchen, sie sind eher als Luxus- oder Prestigeobjekte zu interpretieren und belegen ein europaweites Tausch- oder Handelsnetz schon in der Steinzeit.
Eines der spannendsten Forschungsobjekte für Kontakte in die keltische Welt ist die Wallburg Wilzenberg bei Schmallenberg-Grafschaft (Hochsauerlandkreis), die in der Eisenzeit und im Mittelalter genutzt wurde. Von besonderer Bedeutung sind die eisenzeitlichen Metallfunde. Bereits 1950 wurde hier ein Waffendepot entdeckt. In den vergangenen Jahren kamen weitere Funde aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. hinzu, sodass der Wilzenberg nun der größte eisenzeitliche Waffenfundplatz Nordrhein-Westfalens ist.
Unbestrittener Höhepunkt des vergangenen Jahres war der Fund eines römischen Dolches mit Scheide und Gürtel im Gräberfeld des Römerlagers in Haltern am See. So vollständig und exzellent erhalten ist das Fundensemble einmalig und fand auch international Beachtung. Im aktuellen Band beschäftigen sich zwei Beiträge mit ihm: In einem geht es vor allem um die Fundumstände und im anderen um die Konstruktion des Dolches und die aufwendige Restaurierung, für die das Stück mit einem Computertomografen untersucht wurde.
Im März 2019 wandte sich Pfarrer Christoph Beyer aus Vlotho (Kreis Herford) mit einem ungewöhnlichen Anliegen an die Außenstelle Bielefeld der LWL-Archäologie für Westfalen. Er bat um Hilfe bei der Suche nach den Überresten der ältesten Pfarrkirche, die sich vermutlich im Vorort Wehrendorf befunden hat. Aus den Schriftquellen wusste man von ihrer Existenz, ihr Standort war aber unbekannt. Bei Gartenarbeiten auf einem Grundstück in der Nähe der heutigen Kirche stieß eine Familie immer wieder auf Bruchsteine und menschliche Knochen, sodass dieser Bereich für die Ausgrabung gewählt wurde. Und tatsächlich konnten in dem Gemüsegarten Reste von Vlothos erster Pfarrkirche in Wehrendorf dokumentiert werden.
Archäologie ist häufig vor allem eine logistische Herausforderung, wenn zum Beispiel riesige Flächen dokumentiert werden müssen. Dies trifft insbesondere zu, wenn frühere unterirdische Bergbau-Strukturen untersucht werden. So musste in Brilon (Hochsauerlandkreis) ein Pingenzug, Vertiefungen in Folge des Bergbaus, einem Steinbruch weichen. Der Steinbruchbetreiber unterstützte die Wissenschaftler der Außenstelle Olpe der LWL-Archäologie bei ihrer Arbeit mit schwerem Gerät - und Sprengstoff. Nachdem sich der Staub gelegt hatte, konnte die alte Bergbauzone samt Umfeld zügig und vollständig erfasst und mehrere Bergbauphasen vom Frühmittelalter bis ins 18. Jahrhundert erkannt werden.
In Lengerich (Kreis Steinfurt) meldete ein Sondengänger einen kleinen Münzschatzfund, woraufhin die Fundstelle von der LWL-Archäologie gründlich untersucht wurde. Auf einer Fläche von zirka 80 Quadratmetern kamen schließlich insgesamt 151 Silbermünzen zutage. Der Schatzfund repräsentiert den charakteristischen Münzumlauf im Münsterland in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Warum er vergraben wurde, bleibt Spekulation.
Das Stammlager 326 VI K in Stukenbrock-Senne (Kreis Gütersloh) war im Zweiten Weltkrieg seit November 1941 das zentrale Aufnahmelager für sowjetische Kriegsgefangene. Nach Schätzungen starben hier 65.000 Menschen. In den Folgejahren wurden in dem Lager Kriegsgefangene aus weiteren europäischen Ländern untergebracht. Baumaßnahmen, die auf dem Gelände stattfinden, wurden nun archäologisch begleitet. Zutage kamen neben Baustrukturen über 1.000 Funde, die von den Lebensverhältnissen der Inhaftierten zeugen, darunter Proviantdosen und Besteck von Gefangenen und unzählige Schuhe. Diese Menge, die typisch für die Archäologie der Moderne ist, stellt nicht nur Wissenschaftler vor Herausforderungen, sondern vor allem die Restauratorinnen.
+++ Achtung Redaktionen: +++
Das Inhaltsverzeichnis der neuen LWL-Publikation sowie eine Auflistung der einzelnen Fundorte haben wir Ihnen als Anlage beigefügt (s. Online-Version dieser Pressemitteilung - über den Link oberhalb dieser Mail erreichbar).
Haben Sie Probleme das PDF-Dokument zu lesen? Dann wenden Sie sich bitte unter presse@lwl.org an die LWL-Pressestelle. Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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Eine Auswahl der Münzen im Fundzustand. Foto: Dr. Roland Pieper, Münster, und LWL-Archäologie für Westfalen/T. Pogarell
Unzählige Schuhe werden für die Konservierung geborgen und sortiert. Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/K. Sundermann
Detailfoto vom Innenraum der Kirche mit den Resten des Fußbodens aus senkrecht gestellten Steinen und liegenden Bruchsteinen, die vermutlich von einem Pfeilerfundament stammen. Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/U. Koprivc
Umschlag des neuen Bandes mit dem Dolch aus dem Römerlager Haltern. Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/S. Brentführer
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit mehr als 20.000
Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen,
20 Krankenhäuser, 18 Museen, zwei Besucherzentren und ist einer der größten Hilfezahler für
Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten-
und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit
wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen
Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die
Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein
Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
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