04.09.20 | Psychiatrie LWL-Experte zu Hintergründen lebensmüder Empfindungen
Fragen an Prof. Dr. Hans-Jörg Assion, Ärztlicher Direktor der LWL-Klinik Dortmund
Prof. Dr. Hans-Jörg Assion, Ärztlicher Direktor der LWL-Klinik Dortmund.
Foto: LWL
Prof. Assion, was bedeutet "erweiterte" Selbsttötung?
Assion: Bei einem erweiterten Suizid kommt es zur Tötung von Familienmitgliedern oder unbeteiligter Menschen. Sie sind ahnungslos und werden in die Selbsttötungsabsicht des Suizidenten mit einbezogen. Es gibt dafür auch den Begriff "Mitnahmesuizid". Insgesamt wissen wir wenig darüber. Fest steht aber, dass in den allermeisten Fällen Täter und Opfer sich kennen, in einer Beziehung zueinander stehen, zum Beispiel wenn ein Elternteil in einer vermeintlich ausweglosen Lage seine Kinder mit in den Tod nimmt.
Wie kann es dazu kommen?
Assion: Es ist ein seltener Fall, aber bei depressiven Menschen zum Beispiel kann es unter den Bedingungen einer persönlichen schweren Belastung durch Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit zu Gedanken kommen, nicht mehr leben zu wollen. Noch seltener: Die eigene Erlösung von dem Leid wird auf andere Menschen übertragen, die in das lebensmüde Empfinden einbezogen werden, quasi um sie ebenfalls von dem Leiden zu "erlösen". Ein solches Denken ist dem eigentlichen, "normalen" Denken der Person, ihrem, wenn man so will, Normalzustand, völlig fremd. Es besteht eine Einengung, wie die Fachleute sagen, als Ausnahmefall in einer schwer depressiven Phase.
Gibt es Warnzeichen für eine solche Tat?
Assion: Allgemeine Warnzeichen sind die Krankheitsanzeichen einer Depression selbst, wie Hoffnungslosigkeit, Stimmungstief und Wahnvorstellungen oder die explizite Äußerung von lebensmüden Gedanken. Weitere Hinweise sind die vorbereitenden Handlungen, wie die Vorkehrungen für einen Suizidversuch, soweit sie überhaupt bemerkt werden. Schließlich können als spezielle Hinweise etwa Äußerungen verstanden werden, dass es für andere Menschen eine Erlösung wäre, wenn diese von dem Leid auf Erden befreit würden.
Wer ist besonders anfällig und gefährdet?
Assion: Menschen, die in einer depressiven Krise sind und dabei Wahnvorstellungen entwickelt haben oder aggressive und feindselige Gedanken entwickeln.
Was vermittelt man den ohnehin tief verzweifelten Angehörigen der Opfer oder Überlebenden eines derartigen Geschehens?
Assion: Wichtig sind Gesprächsmöglichkeiten und professionelle Beratung, wie sie zum Beispiel die Trauma- und Opferambulanzen des LWL-Psychiatrieverbundes anbieten.
Achtung Redaktionen:
Hier finden Sie die Liste der Traumaambulanzen in Westfalen-Lippe:
https://www.lwl-soziales-entschaedigungsrecht.de/media/filer_public/76/26/76268d31-ecbb-4cf4-b15e-aaeface1aa7e/liste_traumaambulanzen_lwl_07_2020.pdf
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