24.02.14 | Kultur LWL-Volkskundler auf den Spuren der Verkleidung
Im Kindergarten bin ich Zwerg, aber zuhause bin ich Supermann
Die Teilnehmer eines fastnächtlichen Wurstesingens um 1925 in Beverungen im Kreis Höxter tragen teils improvisierte Verklei-dungen, wie man sie in Westfalen auch schon vor 500 Jahren sehen konnte.
Foto: LWL-Archiv
Ob es die jungen Burschen beim Herne-Holthauser Heischegang sind, die traditionell im blauen Kittel, buntgetüpfeltem Halstuch und schwarzem Zylinder an den Türen Würste sammelten oder die Funkenmariechen und Karnevalsprinzen ¿ eine Verkleidung scheint in der Karnevalszeit einfach dazu zu gehören.
¿Sich-Kleiden steht immer in einem zeitlichen und sozialen Zusammenhang: Zylinder und Baseball-Cap, Krinoline und Jeans gehören in einen ganz bestimmten zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext¿, erklärt Cantauw. Zeitgenossen können und konnten anhand der Kleidung zwischen Reichen, weniger Reichen und Armen unterscheiden. Auch reicht meist schon ein einziger Blick, um festzustellen, ob die Kleidung unseres Gegenübers modern oder altmodisch ist und der Tageszeit und dem Anlass entspricht oder nicht. ¿Sich-kleiden heißt eigentlich, sich in angemessene Kleidung hüllen¿, verrät Cantauw. ¿Dementsprechend bedeutet sich-verkleiden nichts anderes als sich in nicht angemessene Kleidung zu hüllen.¿
Dabei ist es sehr unterschiedlich, was angemessen war und ist und was nicht. Wenn Frauen Männerkleidung tragen, Laien geistliche Gewänder, wenn Jugendliche aus dem 21.Jahrhundert mit einer Toga bekleidet sind oder wenn Menschen wie Tiere aussehen, dann handelt es sich offensichtlich um Verkleidungen. ¿Beim Sich-Verkleiden geht es darum, sich mit Normen auseinander zu setzen. Ob es nun das andere Geschlecht oder der andere kul-turelle Hintergrund ist, Verkleidungen geben uns die Chance nachzuvollziehen, wie es ist, ein anderer zu sein. Das war schon im 15. Jahrhundert so, wo sich die Menschen zum Beispiel als Narren verkleidet haben, weil der Narr ihnen seitens der Geistlichkeit als Sinnbild für Sündhaftigkeit und Gotteslästerlichkeit präsentiert wurde. In der Fastnacht konnte man einmal ungestraft ausprobieren, wie es sich anfühlte, wenn man sich in Gestalt eines Narren nicht an die strengen Regeln der Kirche hielt¿, erläutert Cantauw.
Seit dem 15. Jahrhundert lässt sich ein zunehmendes Bedürfnis nach Verkleidung und (zeitlich begrenztem) Verstoß gegen gesellschaftliche Normen beobachten. ¿Dabei ist es bemerkenswert, dass in Westfalen konkrete Masken- oder Verkleidungstypen eigentlich nicht verbreitet waren. Man verkleidete sich nicht als Teufel oder Hexe, sondern bediente sich eher einfacher Mittel, um sein Aussehen zu verändern¿, weiß Cantauw. Indem die Kleidung auf links gedreht, das Gesicht mit Kohle angemalt oder mit Tüchern verhüllt, Kleidung des jeweils anderen Geschlechts angezogen oder gruppenweise eine einheitliche Kleidung getragen wurde, wollte man vor allem erreichen, dass einzelne Akteure nicht wieder zu erkennen waren. Unter dem Schutz der Maskerade konnte man so einigen Schabernack und Mummenschanz treiben ¿ ein Umstand, gegen den die Obrigkeit immer wieder Verbote erließ. ¿Auch die Geistlichen predigten gegen die Ausschweifungen in der Fastnacht. Dass in Bezug auf Essen und Trinken, aber auch in Hinblick auf Moral und Anstand über die Stränge geschlagen wurde, sah man natürlich nicht gern¿, so Cantauw.
Vor der sechswöchigen Fastenzeit noch einmal auf den Putz zu hauen, ließen sich die Menschen aber anscheinend nicht gern verbieten, das zeigt allein schon die Tatsache, dass die Erlasse und Verbote gegen die Fastnacht immer wiederholt werden mussten. ¿Mummerei und dergleichen¿, wie es in einer Hochfürstlichen Landesverordnung aus Paderborn aus dem Jahr 1655 heißt, war eine allzu große Versuchung, die auch heute noch Hunderttausende in den Bann schlägt.
Eine fantasievolle und aufwändige Verkleidung ist für die Teilnehmer an den Umzügen heute selbstverständlich wie hier 1981 im Kreis Warendorf.
Foto: LWL-Archiv
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